Kunstszene

Die Plakatkunst von Toulouse-Lautrec

Revolution des Sehens

Ein Beitrag zur Ausstellung „Henri de Toulouse-Lautrec und die Belle Époque“ im Kunstmuseum Wedel.

Blick in die Ausstellung. Foto © M. H. / Mannheimer Versicherung AG

Die Belle Époque ist ein weites Feld und erfasste in ihren Ausformungen alle Bereiche des Lebens. Dem versucht die Ausstellung Rechnung zu tragen durch wenige, aber feine Möbel und Einrichtungsgegenstände sowie Lampen und Glasobjekte, vor allem Vasen, von Emile Gallé und Tiffany, um so etwas vom damaligen Zeitgeist einzufangen.

Dies ist die Folie, vor der das künstlerische Schaffen von Henri de Toulouse-Lautrec, dessen Geburtstag sich in diesem Jahr zum 160sten Mal jährt, ausgebreitet wird. Dabei liegt der Schwerpunkt auf seinen Plakaten, die – wie die anderen Exponate auch – aus der Hamburger Sammlung von Wolfgang Krohn stammen.

Entscheidend für Entwicklung des Plakats war die Erfindung der Lithographie (dt. Steindruck) um 1800. Das technische Verfahren beruht auf dem Druck eines oder – bei farbigen Drucken – mehrerer Steine auf Papier. Der Vorteil gegenüber den damals gängigen und verbreiteten Drucktechniken von Kupfer- bzw. Stahlstich lag in der Möglichkeit des freien Zeichnens auf dem Stein, so dass Bilder und Texte zu einer gestalterischen Einheit verbunden werden konnten. Außerdem war es möglich, mit dem Steindruck wesentlich größere Papierformate zu bedrucken als mit anderen damals bekannten Druckverfahren.

Eine technische Neuerung bei der Verwendung von Farbe im Herstellungsprozess der Lithographie war um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Möglichkeit des Auftragens mehrerer sich überlagernder Farben, die sich auf dem gedruckten Papier mischten und zu ganz neuen Farbwerten in der Farblithographie führten. Dadurch konnte die Anzahl der erforderlichen Drucksteine erheblich reduziert werden. Der französische Lithograph und Künstler Jules Chéret vereinfachte den komplizierten Druckprozess so weit, dass auch für gute Farbdrucke nur noch drei bis fünf Steine benötigt wurden, statt mehr als 20, wie vorher.

Die neuen gestalterischen Möglichkeiten dieses Mediums und die Möglichkeit, leicht ein großes Publikum zu erreichen, reizte viele Künstler. Anerkannte Maler und Grafiker nahmen Aufträge für Plakate an. So entstanden Meisterwerke des lithographischen Künstlerplakats. Hier sind neben Toulouse-Lautrec vor allem Eugene Grasset, Pierre Bonnard und Alphonse Mucha zu nennen. Plakate wurden als Bestandteil der freien Kunst gesehen und nach deren Maßstäben bewertet. Kunsthändler spezialisierten sich auf Plakate, Ausstellungen zeigten die neuesten Entwicklungen und es entstanden öffentliche und private Plakatsammlungen.

Aufgrund des leichten Produktionsprozesses eignete sich die Farblithographie insbesondere für das immer wesentlicher werdende Werbebedürfnis der aufkommenden Industriegesellschaft. Und hier kommt es zu einem kongenialen Zusammentreffen der neuen Bedürfnisse einer Massengesellschaft und der künstlerischen Umsetzung neuer formaler Gestaltungsprinzipien. Während die Künstler vor Toulouse-Lautrec an einem klassischen Bildaufbau mit Vorder- und Hintergrund festhielten, mit szenischer Gestaltung und durch Licht und Schatten modulierten Körpern, die die Anmut der Frau ganz im Sinne des 18. Jahrhunderts zeigten, bediente sich Toulouse-Lautrec einer neuen Formensprache.

Für ihn gewann die Farbe als Ausdrucksträger, der Emotionen transportiert und nicht mehr an den Gegenstand und die realistische Wiedergabe gebunden ist, wie dies die Künstlergruppe der Nabis propagierte, an Bedeutung. Zusammen mit der formalen Orientierung an der Flächigkeit des japanischen Farbholzschnitts wurde die Farblithographie zu seinem bevorzugten künstlerischen Medium.

Es entstanden ausdrucksstarke Arbeiten, die mit den Mitteln der Verzerrung und der ausschnitthaften, an die Fläche gebundenen Überschneidung einen Perspektivwechsel vornahmen. In Verbindung mit scharfen, auf Fernwirkung angelegten Farbkontrasten wurden so neue Wahrnehmungsmuster erzeugt.

Ein gutes Beispiel dafür ist das Plakat, das Toulouse-Lautrec 1893 für den Auftritt der Tänzerin Jane Avril im „Jardin de Paris“ entwarf. Im Vordergrund die von der Hand eines Musikers umfasste Schnecke eines Kontrabasses, die auf den Ort des Geschehens verweist und formal mit der von ihr ausgehenden Linienführung die Rahmung der eigentlichen Szene bildet, nämlich den von der Tänzerin auf der Bühne dargebotenen Can-Can. Charakteristisch ist das unmittelbare Nebeneinander von Nähe und Ferne und die starken Kontraste von schwarz und gelb, die unseren Blick lenken.

Ebenso in dem bekannten Plakat, das Toulouse-Lautrec im gleichen Jahr für den Kabarettisten Aristide Bruant schuf. Die reduzierte Farbigkeit mit dem aus dem Schwarz des Mantels hervorleuchtenden roten Schal sowie die flächige, silhouettenhafte Figur des Dargestellten erzeugen ein prägnantes Gesamtbild, das sich als Markenzeichen mit Wiedererkennungswert erweisen sollte.

Die Wirkmächtigkeit des Plakats hat Toulouse-Lautrec bereits damals erkannt. „Das öffentliche Plakat – sonst zählt nichts, es übertrifft jede Salonausstellung.“ soll der Künstler gesagt haben.

Die signethafte Präsentationsform erzeugt eine Unmittelbarkeit des Kunstplakats und erzielt so eine Anziehungskraft, der wir uns nicht entziehen können. Dem lässt sich ist in der Ausstellung wunderbar nachspüren.

Dass das Medium Plakat als komplexe künstlerische Eigenschöpfung viel später unter Zuhilfenahme von Marketingstrategien und wahrnehmungspsychologischen Erkenntnissen zu einem zentralen (Werbe-) Medium der Konsumgesellschaft werden sollte, ist ein andere Geschichte.

Die Ausstellung mit ihren insgesamt 150 Exponaten bietet jedenfalls die Gelegenheit zu einem Streifzug durch eine der faszinierendsten Epochen der Kunstgeschichte. Sie ist im Kunstmuseums in Wedel noch bis zum 28. Juli 2024 zu sehen.

Euer Michael


 

 

 

 

 

Impressionen der Ausstellung. Fotos © M. H. / Mannheimer Versicherung AG

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