Kunstszene

Jan Maarten Voskuil: Der Maler, der zu bauen begann

Grenzüberschreitungen bedeuten für den niederländischen Künstler Freiheit

Als Jan Maarten Voskuil die Kamera für unser Videointerview einschaltet, steht er in der Mitte seines Ateliers, umgeben von einigen seiner Kunstwerke. Der niederländische Künstler nimmt sich die Zeit, mir seine Denk- und Arbeitsweise zu erklären. Seine Werke bestehen im Wesentlichen aus komplex zusammengesetzten Modulen, aus „konstruierter“ Malerei. Was das bedeutet, ist in der Theorie recht kompliziert. Warum führen wir dieses Interview? ARTIMA kaufte das Werk „Double pointless vermilion“ von Voskuil nach einer Zusammenarbeit auf der art KARLSRUHE 2012, das ihr vielleicht schon häufiger in Kunstmagazinen oder in sozialen Netzwerken gesehen habt. Wer ist der Künstler dahinter und wie hat er seine Technik seither weiterentwickelt? Auch uns hat diese Frage sehr interessiert. Ihr erfahrt die Antworten jetzt und hier.

Jan Maarten Voskuil in seinem Atelier, Foto: Harry Cock

"[...] beim Kunstmachen geht es um die Kommunikation in und mit der Kunstwelt.
Diese Kommunikation ist das Wissen, auf dem wir aufbauen."

ARTIMA: Jan Maarten, mit Ihrer Kunst wollen Sie vor allem Dreidimensionalität schaffen. Ich würde gerne mehr über Ihre Technik erfahren. Meine Vorstellung ist die, dass man hölzerne Keilrahmen von der zweiten Dimension in die dritte Dimension bringt, indem man sie biegt. Keilrahmen aus Holz lassen sich jedoch nur bis zu einem gewissen Grad verformen. Man muss also ein enormes Wissen über Holz haben, weil man die Grenzen des Materials bis zum Äußersten ausreizt.

JMV: Es stimmt, dass ich nach der Räumlichkeit in der Malerei suche, aber ich erziele diese nicht, indem ich das Holz verbiege. Ich säge die Kurven aus dem Holz. Mein Ziel ist es eigentlich nicht, die Holzrahmen, sondern die Leinwände maximal zu dehnen. Die Rahmen sind nur die Bildträger. Ich betrachte mich als Maler und versuche, die Grenzen des Materials Leinen auszuloten. Wie weit kann ich gehen? Ich vergleiche mich manchmal mit dem Bildhauer Carl Andre, aber dann in umgekehrter Form. Sind Sie mit seinen minimalistischen Werken vertraut, insbesondere mit den Metallplatten auf dem Boden? Die Idee dahinter ist, dass man über die Werke gehen und sie so spüren kann. Der gesamte Raum um das Kunstwerk ist Teil der Arbeit. Es handelt sich eigentlich um ein zweidimensionales Werk, und Andre sorgt dafür, dass die Skulptur so wenig wie möglich mit ihrer Umgebung interferiert, und dennoch wird man, wenn man über sie geht, Teil des gesamten Raums. Indem er die Skulptur so flach wie möglich gestaltet, maximiert er den Raum. Das macht sie zur ultimativen Skulptur. Carl Andre ist ein Bildhauer, der flache Arbeiten anfertigt.

Ich hingegen betrachte meine Arbeiten als Gemälde und versuche, die Oberflächen zu maximieren, indem ich sie in die dritte Dimension ziehe.
Das ist eine ziemlich umgekehrte Art zu denken. Ich bin ein Maler,
der räumlich arbeitet und versucht, das Bild zu maximieren.

Übrigens ist es lustig, dass in der Mathematik solche wellenförmigen Oberflächen „minimale Oberfläche“ und nicht „maximale Oberfläche“ genannt werden, aber das ist eine andere Geschichte. Mit maximaler Oberfläche meine ich eher die Wahrnehmung der Oberfläche.

Jan Maarten Voskuil, Improved Dynamic Monochrome green, 2015, Acryl auf Leinwand, Foto: Jan Maarten Voskuil

Was kommt zuerst: der Bau des Rahmens oder die bemalte Leinwand?

Die Arbeit mit dem Holz ist ein wichtiger Teil der Herstellung meiner Bilder. Zuerst baue ich den Rahmen, was ziemlich kompliziert ist, weil ich modulare Arbeiten mache, die ich zusammensetze und die immer komplizierter werden.

Können Sie den vollständigen kreativen Prozess erklären, zum Beispiel anhand von „Double pointless vermilion“?

Ich beginne immer mit einer Zeichnung, einer Skizze, um zu sehen, welche Konstruktion möglich sind.

Skizze mit Berechnungen für eine Arbeit, Foto: Sebastian Fath Contemporary

Im nächsten Schritt berechne ich die Winkel – was bei einem Kreis einfach ist, weil sie rechtwinklig sind – und die Kurven. Ich fertige Schablonen für die Teile des Keilrahmens an, lege sie auf das Holz und markiere die gewünschten Formen. Dann säge ich das Holz zurecht, leime und nagele den Rahmen zusammen. So entsteht der Rahmen, die Basis für die Leinwand, die dann darüber gespannt wird. Danach kommt die Malerei.

Warum biegen Sie das Holz nicht mit Dampf, wie das zum Beispiel bei den berühmten Bugholzstühlen von Thonet gemacht wird?

Ich habe die Formen mit einer Bandsäge zugeschnitten. Wenn ich ein Bild wie dieses mache (hält zur Verdeutlichung eine Zeichnung vor die Kamera), muss ich 14 Kurven und 14 verschiedene Winkel berücksichtigen. Mit der Dampftechnik wäre das zu viel Arbeit. Man müsste für jede Krümmung eine Form herstellen. Wenn Sie zum Beispiel Stühle in Serie bauen, ist das in Ordnung. Aber für meine Kunst wäre diese Technik nichts – meine Werke sind einzigartig.

Haben Sie in der Kunstschule gelernt, wie man solche Konstruktionen anfertigt, oder haben Sie sich dies selbst beigebracht?

Ich habe das selbst herausgefunden, durch Ausprobieren und Scheitern. Als „Holzbearbeiter“ bin ich ein absoluter Autodidakt.

Jan Maarten Voskuil, Dynamic Monochrome White, 2018, Acryl auf Leinwand, 133 x 133 x 11 cm, Foto: Sebastian Fath Contemporary

Sie arbeiten nicht mit Objekten, nicht mit Figuren. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Abstraktion, insbesondere auf geometrischen Formen, die sich auf den Konstruktivismus der 50er- und 60er-Jahre beziehen. Woher kommt dieses Interesse an Formen? Haben Sie eine besondere Schwäche für Mathematik?

Nein, ich mochte Mathe nie. In der Schule war ich darin eher mittelmäßig, und auch heute mag ich es nicht. Aber Mathematik ist nun mal notwendig für das, was ich erreichen will. Ich hatte übrigens angefangen, realistisch zu malen, dann aber bald herausgefunden, dass ich mehr an der Malerei selbst interessiert bin als an der Darstellung einer Geschichte oder eines Gegenstands. Offenbar ist die Malerei eine ziemlich sinnlose Tätigkeit. Sie ist sehr begrenzt, schränkt ein. Diese Einschränkungen interessieren mich. Warum ist ein Gemälde flach? Warum wird Malerei als einzigartig angesehen? In meiner Kunst geht es um das Bild und nicht um mich. Ich erzähle keine Geschichten, nicht einmal persönliche Geschichten.

Ich erkunde Möglichkeiten, die die Malerei bietet.

Ich versuche, in diesem Bereich immer weiterzugehen. Vielleicht bin ich bei diesen Erkundungen ein wenig vom Hauptpfad abgekommen, aber es ist relativ ruhig auf diesem Nebenpfad, und es gibt viel mehr zu entdecken, als ich je für möglich gehalten hätte. Als ich um 1998 begann, meine Werke in den Raum ragen zu lassen, betrachtete ich dies als eine eigenständige Aussage über die Malerei, nicht als etwas, das ich 25 Jahre später immer noch machen würde, und das hat zu einem recht vielfältigen Werk geführt, trotz Grenzen.

Sie fragmentieren, was Sie darstellen, zum Beispiel den Punkt. Der Betrachter muss dann das Abgebildete gedanklich rekonstruieren und dabei die dritte Dimension ausblenden. Die räumliche Tiefe ist also eher ein Störfaktor in der Wahrnehmung. Ist das Ihre Absicht?

Die „Kreis-Werke“, zu denen das Werk in der ARTIMA-Sammlung gehört, sind ein perfektes Beispiel für meine Prinzipien. Bevor ich mit diesen Kreisen angefangen habe, habe ich ein oder zwei Jahre lang nur weiße modulare Arbeiten angefertigt. Sie waren weiß, weil ich keine Geschichten erzählen wollte, und sie waren modular, weil ich keine Einzelstücke herstellen wollte.

Jan Maarten Voskuil, "Double pointless vermilion", 2013, acrylics on linen, 210x210x25-45cm, Foto: Jan Maarten Voskuil

Ich fertigte Bausteine aus Holz und Leinen an, mit denen ich jedes Mal ein neues „Gemälde“ bauen konnte. Auch wenn sie manchmal wie Skulpturen aussehen, so bezeichne ich sie als Gemälde, weil sie immer noch aus Farbe auf Leinwand auf einem Keilrahmen bestehen.

Jan Maarten Voskuil, Roundtrip Pointless Paynes Grey, 2018, Acryl auf Leinwand, 150 x 150 x 20 cm, Foto: Jan Maarten Voskuil

Diese kreisförmigen Arbeiten entstanden, als ich nach einer Möglichkeit suchte, wieder Farbe in meine Arbeit zu bringen, ohne dass die Farbe eine Geschichte erzählt. Farben haben eine sehr dominante Wirkung. Sie wecken Gefühle, erzählen eine Geschichte. Sie verdecken gewissermaßen das Bild. Mir kam in den Sinn, dass die Kreise auch selbstreferenziell sein könnten, dass sie die äußeren Grenzen, den maximalen Umfang des Bildes, darstellen könnten. Zusammen mit Titeln wie „Pointless Vermilion“ machen sie die Werke in meinen Augen leichter verdaulich. Auf diese Weise kann ich auch meine strengen und ernsthaften Grundsätze überwinden.

Und vielleicht ist es das, worum es mir wirklich geht:
Freiheit zu erzielen,
indem ich Grenzen überschreite.

Wenn Sie Ihre Arbeitsweise und Ihre Werke rückblickend betrachten, haben sie nichts mit der klassischen Malerei gemein. Brauchten Sie dennoch das theoretische Studium der Kunstgeschichte als Grundlage für Ihre Arbeit oder hätte ein praktisches Studium am Ende ausgereicht?

  Jan Maarten Voskuil in seinem Atelier, Foto: Harry Cock

Meine Ausbildung war hauptsächlich theoretisch und nicht praktisch. Deshalb betrachte ich mich als Autodidakt. Ich bin mir also durchaus bewusst, dass ich Vorläufer habe. Künstler wie Enrico Castellani oder Agostino Bonalumi zum Beispiel. Das Wissen darüber ist sicherlich notwendig, schon allein, um sich die Mühe zu ersparen, das Rad neu zu erfinden. Einer der Gründe, warum ich mit Modulen arbeite, ist übrigens Enrico Castellani – vor allem, weil er es nicht speziell gemacht hat. Ich habe gelesen, dass Castellani ein Architekt war, der zum Künstler wurde. Für mich war das der Anlass, das Gegenteil zu tun. Ein Maler, der zu bauen begann. So habe ich diese Module entwickelt.
Heutzutage scheint es sehr wichtig zu sein, „bei sich selbst zu bleiben“, wenn es darum geht, Kunst zu machen. Aber man vergisst, worum es eigentlich geht: Künstler haben nie aus reiner persönlicher Neigung Kunstwerke geschaffen, sondern immer auf etwas Vorhandenem aufgebaut und es weiterentwickelt. In meiner Kunst geht es nicht so sehr um mich und den Ausdruck meines persönlichen Stils – das kommt von selbst. Auch wenn man sich bemüht, keinen eigenen Stil zu haben.

Nein, beim Kunstmachen geht es um die Kommunikation in und mit der Kunstwelt.
Diese Kommunikation ist das Wissen, auf dem wir aufbauen.

Ich denke, dass kunsthistorisches Wissen wichtig ist, aber die Entwicklung der Arbeit kommt hauptsächlich durch praktische Erfahrung. Indem wir etwas tun und immer wieder auf praktische Probleme stoßen. Die Lösung dieser Probleme bringt wirklich neue Erkenntnisse. Deshalb ist das Handwerkliche für mich mindestens genauso wichtig wie das Theoretische oder Konzeptionelle.

Blick in die Ausstellung "Chrome works" mit Arbeiten von Jan Maarten Voskuil 2016 bei Sebastian Fath Contemporary in Mannheim, Foto: Sebastian Fath Contemporary

Natürlich entwickeln Sie immer wieder neue Kunstwerke, aber Ihre persönliche Handschrift ist immer erkennbar, weil Ihre Technik dieselbe bleibt. Woran arbeiten Sie derzeit?

Ich arbeite derzeit an einem sehr großen modularen Kunstwerk, das Sie hier hinter mir sehen können. Ich male es für eine Ausstellung im Mondrian-Haus in Amersfoort, in der Nähe von Utrecht. Anlässlich des 150. Geburtstags von Piet Mondrian findet eine Ausstellung statt. Diese Ausstellung wird ab dem 4. September zu sehen sein. Übrigens wurde ein Teil dieser Arbeit bereits in der städtischen Ausstellungshalle Campis der Stadt Assen in den Niederlanden gezeigt.

Für den ARTIMA®-Stand auf der art KARLSRUHE 2012 hat Jan Maarten Voskuil – in Zusammenarbeit mit der Mannheimer Galerie Sebastian Fath Contemporary – eine raumgreifende Wandarbeit gestaltet. „Double pointless vermilion“, rund 210 x 210 Zentimeter groß. Diese Arbeit ist seitdem fester Bestandteil der Kunstsammlung der Mannheimer Versicherung.

 


Das Interview führte Isabelle

 

Vielen Dank an Jan Maarten Voskuil und seinem Galeristen Jan Peter Kern für die Unterstützung für dieses Interview.

 

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Double pointless vermilion, 2013, acrylics on linen, 210x210x25-45cm

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