Kunstszene

Die Hand als Multifunktionstool

Christopher Lehmpfuhls Ausstellung "Farbrausch" auf Schloss Gottorf

In der Zuordnung des Künstlers zu den „Norddeutschen Realisten“ gilt Christopfer Lehmpfuhl derzeit als prominentester Vertreter der aktuellen Freilichtmalerei. Besonders ist hierbei sein haptischer Farbauftrag. ARTIMA hat seine aktuelle Ausstellung "Farbrausch" auf der Museumsinsel Schloss Gottdorf in Schleswig-Holstein besucht. Michael von ARTIMA beschreibt seine Eindrücke.

Christopher Lehmpfuhl in Island (Foto: © Florian Selig)

Den Begriff Freilichtmalerei verbinden wir unwillkürlich mit der großen Bewegung des Impressionismus und uns kommen sofort unzählige Bilder stimmungsvoller Landschaften, intimer Interieurs und harmonischer Stillleben in den Sinn. 

Ja, auch diese hat Christopher Lehmpfuhl geschaffen. Vor allem in seinem Frühwerk, wo sich Innenraumansichten - meist Berliner Altbauwohnungen-  finden, die von solcher atmosphärischen Dichte sind, dass sie einen an den großen Berliner Realisten Adolph Menzel denken lassen. Doch genau wie bei diesem weitet sich Lehmpfuhls Blick mit der Zeit vom täglichen Umfeld hinaus in die Stadt, in der er die Auseinandersetzung mit den gewaltigen Umbrüchen und dem steten Wandel der Metropole sucht. Er entwickelt sich zu einem Maler, der ein Schlaglicht auf das Hier und Jetzt der ausufernden Stadt wirft und dies in unnachahmlicher Drastik auf die Leinwand bannt. Dabei bedient er sich zweier Mittel: zum einen der gigantischen Größe seiner Leinwände und zum anderen der Methode seines Farbauftrags. 

So ist beispielsweise in der Ausstellung ein 14 Meter breites, aus acht einzelnen Leinwänden bestehendes Panorama des Berliner Schlossplatzes zu sehen. Dabei entwirft der Künstler einen Rundumblick, bei dem er durch die Verbildlichung einer Momentaufnahme dieser gewaltigen Baustelle die Monumentalität und das Ausmaß des Umbruchs der Stadt visualisiert. Als gestalterisches Mittel zur Umsetzung dieses Eindrucks dient ihm ein geradezu haptischer Umgang mit der Farbe. Der Farbauftrag ist so pastos, dass kein Pinsel ausreichen würde, um diese Wirkung zu erzielen. Letztlich malt, oder sollte man besser sagen „formt“, der Künstler die Bilder mit den bloßen Händen. Die Entwicklung hin zu dieser gestalterischen Technik beschreibt Lehmpfuhl in einer Einführung zu dieser Ausstellung so: 

Als er einmal mit einem Bild, dass er mitten im Winter bei Minusgraden im Freien gemalt hatte, zurück in sein Atelier kam, tauten die Farben durch den Temperaturunterschied quasi auf und kleckerten auf den Boden. Nach anfänglichen Versuchen die Farbe mit dem Pinsel neu aufzutragen, stellte er irgendwann, als er einen Farbklumpen vom Boden mit der Hand aufhob, um ihn wieder aufzutragen, fest, dass das mit der Hand ebenso gut geht wie mit einem Pinsel. Er machte die Erfahrung, dass die Hand ein „Multifunktionstool“ ist, das alle Pinselstärken vereint und Arbeitsweisen von mehreren Zentimeter breiten Furchen bis zu filigranen Strichen, die mit dem Fingernagel gezogen sind, erlaubt. Hinzu kommt die sinnliche Erfahrung, die Farbe zu spüren und die Bilder sozusagen mit den Händen zu „bauen“. Lehmpfuhl selbst bezeichnet sich oft als malenden Bildhauer. 

Dies lässt an große Vertreter des Impressionismus in Deutschland denken, wie Lovis Corinth, der in seinem Spätwerk eine derart pastose malerische Wirkung erzielt, als ob er die Darstellung aus Ton forme. Dabei entsteht eine Arbeitsweise, bei der die Bilder von unten nach oben bzw. von hinten nach vorne durch viele Schichten aufgebaut werden. Die damit einhergehende haptische Erfahrung lässt die Materialität des Dargestellten spürbar werden. 
Dies wird besonders deutlich in den Landschaftsbildern Lehmpfuhls. Als Weltreisender – schon als Kind mit seinen Eltern bereiste er fast alle Kontinente – sucht er heute die entlegensten Winkel der Erde, um dort vor Ort seine riesigen Leinwände aufzubauen. Dabei scheut er keine logistische Herausforderung, um an den Ort seiner Wahl zu gelangen – sei es in Hochgebirgen oder an Meeresküsten. Er nimmt bewusst in Kauf, sich während des Malprozesses den Naturgewalten von Wetterumschwüngen auszusetzten. Die Energie der Natur geht dabei auf den Künstler über und findet so über einen pastosen, quasi plastischen Farbauftrag, Eingang in das Werk. Dies verhilft ihm zu einer Intensivierung der Bildaussage, die damit die Natur „erfahrbar macht“. 

Wenn sich so aufgrund von Witterungseinflüssen Wasser, Sand und Staub auf der Leinwand festsetzen und in den Malprozess einfließen, wird selbst aus scheinbar harmlosen Bildsujets wie einem blühenden Kirschbaum in einem Vorgarten oder den Weinreben einer toskanischen Landschaft ein sinnliches Erlebnis, so dass durch die Verbildlichung des Sujets die Schönheit und Kraft der Natur auf den Betrachter übergeht.

Und allein dafür lohnt die Reise auf die Museumsinsel Gottorf in Schleswig, wo die Ausstellung noch bis 17.Oktober zu sehen ist. 

 


Ein Text von Michael 

 

 

 

Bildergalerie (© Sonderausstellung Farbrausch | VG Bild-Kunst Bonn, 2021)

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