Kunstszene

Atelierbesuche in der Metropolregion

Kunst für und über das Leben: Ein ARTIMA-Interview mit Michael Lerche

Das Laute und Direkte ist nicht Michael Lerches Art. Lieber beobachtet er auf stille Weise die Welt und verarbeitet seine Eindrücke künstlerisch: die Veränderungen der Natur, das Verhalten von Menschen und jeden Aspekt, der ihn umgibt. Manchmal finden sich diese Beobachtungen nur angedeutet in seinen Malereien oder Skulpturen wieder, manchmal metaphorisch, dabei immer ästhetisch.

Fotos: Isabelle Haupt

Nach einer Maschinenschlosserlehre studierte Michael Lerche Industriedesign und arbeitete viele Jahre als Möbeldesigner und Entwicklungsleiter. Der Entwurf und die Reproduktion zeitlos nachbestellbarer Teile stimmten ab einem gewissen Zeitpunkt jedoch nicht mehr mit seiner Philosophie von Nachhaltigkeit und Individualismus überein. Wohin mit all den Ideen und Emotionen, die in ihm stecken? So viel Kreativität wollte und will noch immer aus ihm heraus. Seit 2013 teilt sich Michael sein Atelier im Heidelberger Dezernat 16 mit der Modedesignerin Senaja. Wie er zur Malerei fand und welche Themen ihm wichtig sind, erzählt er mir bei einem Kaffee in seinem Atelier.

Dein gesamtes Berufsleben ist geprägt durch gestaltende Tätigkeiten. Spielte Kunst bereits in Deinem Elternhaus eine Rolle?
Ich komme nicht aus einem typisch künstlerischen Elternhaus. Meine Mutter hat immer gern gezeichnet und mir diese Gabe sicher in die Wiege gelegt. Als Jugendlicher hatte ich unheimlich gerne Werken in der Schule. Ich absolvierte eine Ausbildung als Maschinenschlosser und habe im Anschluss überlegt, was ich noch damit machen könnte. So stieß ich aufs (Industrie-)Design. Was toll war, denn meine handwerkliche Ausbildung war mir dazu ein großer Vorteil, z.B. konnte ich im Gegensatz zu den Studierenden, die direkt von der Schule ohne praktische Erfahrung kamen, all meine Modelle selbst bauen und somit von Anfang an Handwerk und Gestaltung miteinander verbinden. Nach dem Studium habe ich als angestellter Möbeldesigner für einen großen Küchenkonzern, sowie in kleinen, renommierten Designbüros gearbeitet, u.a. als Entwicklungsleiter für einen Tischhersteller. Nach über 20 Jahren als Angestellter wagte ich dann den Schritt in die Selbstständigkeit als Produktdesigner.

Welche Erfahrungen und Überlegungen gaben für Dich den Anstoß, sich dann der Malerei zuzuwenden und diese hauptberuflich auszuführen?
Mein Ansatz im Design war immer, Produkte auch von visuell langer Lebensdauer zu gestalten. Ich bin sozusagen eher für die „leisen“ als die „lauten“ Dinge. Doch leider gab es damals nicht so viele Kunden, die mit dem Thema Nachhaltigkeit etwas anfangen könnten. Als Produktdesigner bist Du gezwungen, ständig etwas Neues zu kreieren und Bedürfnisse zu wecken. Das hat nicht mehr mit meiner Philosophie übereingestimmt.

Der Auslöser zur Malerei kam genau aus dieser veränderten Sicht und durch eine Ausstellungserfahrung: Ich lebe in Waldbrunn im Odenwald. Dort hatte ich eine Werkstatt und immer den Wunsch gehegt, mal große Bilder zu malen, weil ich in meinem Beruf als Designer immer nur mit kleinen Zeichnungen zu tun hatte. Jetzt wollte ich mich privat einfach frei auf der Leinwand äußern, etwas gestalten, was nicht wiederholbar ist. Ich habe dabei versucht, meinen eigenen Weg zu gehen und mir alles selbst beizubringen. Ich orientiere mich nicht an anderen Malern, habe keine großen Vorbilder, weil ich „Abmalen“ ehrlich gesagt schrecklich finde. Ich finde, die Fähigkeit, etwas selbst zu kreieren steckt in jedem drin, man muss den Menschen nur die Angst nehmen. Wenn man sich freimachen kann, wird Malen zu einem Erlebnis. Bei einer meiner ersten Ausstellungen verkaufte ich dann vier oder fünf Bilder auf einmal. Das war mein Aha-Erlebnis, das zu dem Gedanken führte „Das machst Du parallel zu Deinem Design-Bereich weiter“.

Welche Themen sind Dir ganz besonders wichtig und mit welchen Materialien und Techniken arbeitest Du gern?
Das können ganz unterschiedliche Dinge, Themen und Materialien sein. Bei kleineren Formaten interessieren mich Materialexperimente, die in sich stimmig sind, z.B. die Einarbeitung von Metallen, die ich zum Teil wieder entferne. Ich probiere Dinge aus und lasse mich da treiben und beobachte, wie das Bild nach 2-3 Tagen ausschaut, wenn sich zum Beispiel Rost oder Patina gebildet hat.

Viele meiner großformatigen Bilder wurden aber ganz bewusst und gezielt gemalt, zum Beispiel meine beiden Bilder „Raum der Ruhe“ und „Überall suchen die Mütter nach ihren verschwundenen Söhnen“ (Anm. d. Red.: derzeit im Atelier hängend). Das letztere verarbeitet z.B. das spurlose Verschwinden von 43 Studenten in Mexiko, die 2014 mit dem Bus auf dem Weg zur Uni waren, verschleppt wurden und bis heute verschwunden sind. Diese Nachricht hat mich sehr beschäftigt. Mein Bild dazu steht exemplarisch für viele andere Fälle von verschleppten und verschwundenen Menschen, die unaufgeklärt sind.
Die Veränderung der Gesellschaft sind Themen mit denen ich mich bildnerisch und skulptural auseinandersetze. Ich beobachte und versuche meine subtilen Aussagen auf eine ästhetische Art und Weise zu verpacken. MeineAusdrucksmittel und Bildtitel wähle ich nicht plakativ sondern spiele zeitweise mit Andeutungen und Metaphern.

Mich interessieren Deine Werkstitel: Mal ist der Titel eines Werkes eine Frage (Weißt Du, wo der Himmel beginnt?), mal eine Feststellung (An der Grenze), mal ein kraftvolles Wort (Wiedergeburt). Mal bleiben Werke ganz ohne Titel. Was bedeuten Dir Bildtitel/bzw. die Titel Ihrer Skulpturen?
Bildtitel sind für mich sehr wichtig und gehören zum Gesamtkunstwerk dazu - leider gelingt es mir nicht immer, einen passenden Titel zu finden. Ich möchte mit den Bildtiteln eine Fährte legen, der der Betrachter folgen kann, um sich die Bedeutung des Bildes zu erschließen. Genauso ist es aber auch möglich, den Pfad zu verlassen und sich eigene Gedanken zu machen. Vor einiger Zeit hatte ich Dichter bei mir im Atelier zu Gast. Sie haben zu meinen Werken Haiku Gedichte geschrieben. Das erstaunliche war, dass ein und dasselbe Bild so unterschiedlich interpretiert wurde. Das Bild war wie ein Haus, das durch verschiedene Eingangstüren betreten wurde und zu unterschiedlichen Wahrnehmungen führte. Auch für mich persönlich ergaben sich bei einigen Bildern neue Sichtweisen. Die Wandskulptur „Wiedergeburt“ kann man da als Beispiel zu nennen.

Gibt es einen Ort, wo Du Deine Kunst gerne mal ausstellen möchtest?
Da denken wahrscheinlich jetzt viele an tolle Museen oder Galerien. Ich mache Kunst für Zuhause oder für Büro und Praxen. Es gibt in vielen Firmen so viele kahle Wände. Das finde ich schrecklich. Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, dass Kunst viel positive Stimmung bei Arbeitnehmern erzeugen kann.

Insofern wäre es interessant, mal in einer Firma auszustellen, die mit Kunst nicht viel oder gar nichts zu tun hat. SAP würde mir dazu spontan einfallen. Die Mitarbeiter sitzen den ganzen Tag am PC, haben immer mit Bits und Bytes, Einsen und Nullen zu tun. Denen einfach mal etwas vorzustellen, was mit Natur zu tun hat oder den Geschäftsprozess künstlerisch darzustellen fände ich schöner als eine Ausstellung im Museum (obwohl ich da natürlich auch nichts dagegen hätte, MoMa wäre schon toll. (lacht)

Im Museum läuft man jedoch nur schnell an Werken vorbei, während man am Arbeitsplatz ständig mit der Kunst konfrontiert ist und vielleicht immer wieder etwas Neues darin entdeckt. Wenn mehr Firmen bereit wären, sich für so etwas zu begeistern, könnte es eine Win Win Situation für beide Seiten geben.

Herzlichen Dank, Michael, für die Einladung in Dein Atelier und das schöne Gespräch! 


Das Interview wurde hier gekürzt veröffentlicht. Sie sind jedoch Feuer und Flamme und möchten weiterlesen? Zum vollständigen Interview mit Michael Lerche

Das Interview führte Isabelle

 


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