Porträts vom ewigen Eis
Ein persönliches Gespräch mit Fotograf, Abenteurer und Klimaaktivist Sebastian Copeland
Maler verwenden Farben und Schriftsteller benutzen Worte, um ihrer Kunst Ausdruck zu verleihen. Daraus entstehen Werke mit einer markanten Handschrift, geprägt durch ihren individuellen Stil mit der sie ihre Urheberschaft manifestieren und zugleich das Publikum an ihrer Weltanschauung teilhaben lassen. Für den Fotografen, der mit Hilfe einer Kamera die Realität abbildet, scheint diese Form der Selbstdarstellung ein weitaus komplizierteres Unterfangen zu sein. Er kann jedoch durch die Wahl des Bildausschnitts und des Kamerawinkels sehr wohl eine eigene Bildsprache entwickeln, die zusammen mit der Bearbeitung der Farben und Kontraste seinen Werken einen charakteristischen Wiedererkennungswert verleiht. Denn jeder Fotograf lässt uns mit seinen Bildern teilhaben an seiner einzigartigen Reise und erzählt uns durch die sorgfältig ausgewählten Motive seine persönliche Geschichte. In diesem Interview lädt ARTIMA euch ein zu einer spannenden Expedition mit dem Fotografen, Abenteurer und Klimaaktivisten Sebastian Copeland in das ewige Eis. Unsere ARTIMA-Bloggerin Ánh durfte ihn dafür exklusiv in seinem Zuhause in München besuchen.
"Ich fotografiere nicht einfach nur Eisberge, sondern ich porträtiere das Eis.
Ich betrachte jeden Eisberg als ein Individuum." Sebastian Copeland
ARTIMA: Sebastian, wann hattest Du Deine erste Kamera in der Hand und von wem bekamst Du sie?
SC: Mein Großvater lebte in Südafrika und nahm mich oft auf spannende Safaris mit. Von ihm lernte ich die Verbundenheit zur Natur und die Abenteuerlust. Mit 11 Jahren schenkte er mir eine Plastik Kodak Kamera und von da an entfachte meine Leidenschaft für die Fotografie. Über die Jahre kamen immer mehr Geräte dazu und nun habe ich eine ganze Sammlung an Kameras!
Du hast als Regisseur von Musikvideos Deine Karriere begonnen und warst anschließend als Produzent und Fotograf für Mode und Models tätig. Dann hast Du einen anderen Weg eingeschlagen, weg von Mode und Menschen, hin in die Einsamkeit der Natur, hin zum Thema Umweltschutz und Klimawandel. Was war der Auslöser für diese Entscheidung?
Ursprünglich habe ich Geologie studiert und als Student mit der Porträtfotografie nebenbei Geld verdient. Eigentlich wollte ich Kriegsfotograf werden, weil ich während des Kalten Krieges aufwuchs und immer schon an Geschichte interessiert war. Nach meinem Abschluss fotografierte ich jedoch weiter Hollywood Stars in L.A., da es für mich eine gute Gelegenheit war, um nach dem Studium Geld zu verdienen. Als Mitte der 90er Jahre das Thema Klimawandel immer mehr in den öffentlichen Fokus rückte, begann auch ich meine Tätigkeit zu hinterfragen. Als Portätfotograf ist meine Arbeit zwar sehr unterhaltsam, weil man dabei viele neue Leute kennenlernt. Aber mir fehlte die intellektuelle Substanz und ich wollte eine Aufgabe, die meinem Leben mehr Sinn verleiht. Ich rückte meinen Fokus auf Dinge, die mich bereichern und auf das Vermächtnis, welches ich der Nachwelt gerne hinterlassen möchte. Also kehrte ich zu meinen wissenschaftlichen Wurzeln, der Geologie, zurück und begann mich als Aktivist intensiver mit der Umwelt auseinanderzusetzen, damit ich mich für sie einsetzen kann. Wäre das Thema Klimawandel damals nicht stärker aufgekommen, dann wäre ich heute vielleicht immer noch als Fotograf in L.A. tätig.
Welches Ziel verfolgst Du, indem Du die menschenleere Natur und deren Schönheit zeigst? Was möchtest Du den Betrachter durch Deine Fotografie vermitteln?
In meinem Leben gibt es vier wichtige Pfeiler: Wissenschaft, Natur, Abenteuer und Philosophie. Als Buddhist bedauere ich den Verlust von sozialen Werten in der Gesellschaft und den zunehmenden Materialismus. Daher suche ich das Abenteuer und begebe mich zu extremen Orten wie der Arktis oder die Wüste. Dort ist man frei von Ängsten und Sorgen, weil man nur von endlosem Schnee oder Sand umgeben ist. Es fällt leichter die Gedanken zu sortieren und sich auf die wesentlichen Dinge zu fokussieren. Mich beschäftigen existenzielle Fragen wie die Verbindung zur Natur, die uns erschaffen hat und auch zerstören kann.
Das Wasser ist der Ursprung des Lebens und mit diesem Element fühle ich mich sehr verbunden. Daher liebe ich alles, was mit Wasser zu tun hat. In der Arktis sowie Antarktis bin ich umgeben von Wasser in seinen verschiedensten Formen. Die Erdgeschichte ist im ewigen Eis konserviert und alles erscheint dort zeitlos. Meine wissenschaftlichen Expeditionen ähneln einer Zeitreise, in der diese Riesenkolosse mir ihre Geheimnisse anvertrauen. Durch unsere Unachtsamkeit sind wir dabei das Klima und die Natur unwiderruflich zu zerstören. Mit dem Eis würde nicht nur ein Teil unserer Erdgeschichte verschwinden, sondern auch unser Planet, von dem wir als Spezies abhängig sind, würde aus dem Gleichgewicht geraten. Meine Fotos sollen durch ihre intellektuelle Vielfalt all diese verschiedenen Facetten widerspiegeln und unsere Aufmerksamkeit auf die Erhaltung von Natur und Umwelt lenken.
"Daher suche ich das Abenteuer und begebe mich zu extremen Orten wie der Arktis oder die Wüste. Dort ist man frei von Ängsten und Sorgen, weil man nur
von endlosem Schnee oder Sand umgeben ist." Sebastian Copeland
Wie bereitest Du Dich körperlich und mental auf die extremen Bedingungen (Wetter, Einsamkeit, dünne Luft, …) vor?
Eine gute Vorbereitung macht 90% des Erfolges aus. Mit meinem wissenschaftlichen Background bereite ich mich auf jede Reise auch wissenschaftlich vor. Durch intensive Recherche sammle ich alle wichtigen Informationen über die geografischen Besonderheiten und stelle mit diesem Wissen meine Ausrüstung zusammen. Um meinen Körper auf die speziellen Bedingungen anzupassen, erstelle ich einen strengen Trainingsplan. Da kann es auch mal passieren, dass ich im Wohnzimmer ein Zelt aufstelle, in dem ich übe mit weniger Sauerstoff auszukommen. Das dient als Vorbereitung für meine Expeditionen auf hohen Bergen. Ähnlich wie die Kunsttechnik eines Malers passe auch ich meine Methoden jedes Mal an.
"Die Erdgeschichte ist im ewigen Eis konserviert und alles erscheint dort zeitlos. Meine wissenschaftlichen Expeditionen ähneln einer Zeitreise,
in der diese Riesenkolosse mir ihre Geheimnisse anvertrauen." Sebastian Copeland
Wie bist Du ausgestattet? Da die Bedingungen besonders rau sind, werden Akkus nicht lange halten, Kameras müssen vor Nässe und Salzwasser geschützt werden. Wie viel Ersatz musst Du einpacken und wie transportierst Du dies alles?
Zu den meisten Expeditionen begebe ich mich alleine oder verreise mit höchstens einem Expeditionspartner. Die größten Herausforderungen in der Antarktis sind Kälte und Isolation. Man ist bei Gefahrensituationen auf sich allein gestellt und hat über mehrere Wochen hinweg kaum sozialen Austausch. Bei -40°C sind meine Finger ständig der Gefahr von Kältebrand ausgesetzt, deswegen können sogar normale Bewegungen, wie zum Beispiel das Hantieren einer Kamera, viel schwerer fallen. Allein das Aufstellen des Stativs ist manchmal ein eigenes Abenteuer. Mein über 200kg schweres Equipment muss ich auf Schlitten hinter mir herziehen, davon sind über 20kg Foto- und Filmausrüstung. Mit einem Solarpanel kann ich manchmal meine elektronischen Geräte aufladen. Doch von all dem ist nichts zu sehen, wenn man am Ende die schönen Motive mit Eisberge und Gletscher betrachtet.
Du hast bereits tausende unglaublich beeindruckende Bilder geschossen. Fühlst Du dennoch Gefühle wie Stolz oder Begeisterung, wenn Du einen bewegenden Moment festhalten konntest?
Das Schöne am Eis ist, dass es ständig seine Form verändert. Die Gewissheit, dass meine Motive einmalig sind und dass außer mir wahrscheinlich kein Mensch jemals wieder dieses Motiv schießen wird erfüllt mich jedesmal mit Ehrfurcht und Stolz. Ich betrachte Eisberge nicht als leblose Objekte. Jeder von ihnen hat seinen eigenen Charakter und verändert sich je nach Jahreszeit oder sogar bei unterschiedlichen Lichtverhältnissen. Ich bin stets dankbar und fühle mich gesegnet, weil ich die Möglichkeiten habe regelmäßig auf Expeditionen zu gehen, um diese Bilder festzuhalten.
Auf der Jagd nach dem besten Foto begibst du dich auf deinen Reisen immer wieder in Lebensgefahr. Wie lange verreist Du pro Jahr? Ist ein „normales“ Leben mit einem Beruf, der keine Extreme erfordert, für Dich überhaupt vorstellbar?
Ich bin meist über die Hälfte des Jahres auf Reisen. Zugleich verbringe ich auch viel Zeit mit der Analyse von Daten. Angesichts meiner Arbeit als Aktivist muss ich immer up to date sein, aber ein reiner Schreibtischjob käme für mich auf Dauer nicht in Frage. Schließlich benötige ich die Expeditionen auch, um einen klaren Kopf zu bekommen. Die Lockdown-Phase war für mich eine ziemliche Herausforderung, weil das Reisen von heute auf morgen verboten wurde und mir der Zugang zum Eis eine lange Zeit verwehrt blieb.
Was denkst Du über den heutigen Trend der Smartphone-Bilder? Zückst Du auch ab und an Dein Handy und schießt damit Fotos?
Wir leben in einer spannenden Zeit mit vielen Möglichkeiten und technischen Errungenschaften, die uns das tägliche Leben erleichtern. Die integrierten Kameras sind mit der Zeit immer besser geworden, aber eine professionelle Kamera wird das Smartphone nicht ersetzen können. Es ist jedoch ein sehr nützliches Hilfsmittel, das man zusätzlich zu den professionellen Kameras verwenden kann. Für mich ist das Smartphone Fluch und Segen zugleich. Es ist eine unermessliche Informationsquelle und verbindet Menschen miteinander, aber es macht auch süchtig und erzeugt Stress durch die ständige Erreichbarkeit. Ich versuche immer die Balance zu halten und lege das Smartphone auch mal beiseite.
Welche Faktoren zeichnen für Dich ein sehr gutes Foto aus? Worauf achtest Du, wenn Du ein Bild schießt oder es später dann unter vielen, z.B. für einen Bildband, auswählst?
Bei der Porträtfotografie ist es hilfreich, eine Beziehung zum Motiv aufzubauen. In gewisser Weise gilt das auch für das Eis. Ich fotografiere nicht einfach nur Eisberge, sondern ich porträtiere das Eis. Ich betrachte jeden Eisberg als ein Individuum. Tatsächlich hat das Eis einen Lebenszyklus, der dem unseren nicht ganz unähnlich ist. Es wird geboren, es bewegt sich und geht auf Reisen, es interagiert und gelangt schließlich ins Meer, wo es sich auflöst, wodurch wieder neues Eis entsteht und der Lebenszyklus erneut fortgesetzt wird. Dieser Vorgang ist wunderschön. Porträts von Menschen dokumentieren einen Moment in ihrem Leben. In diesem Sinne ist das Porträt eines Eisbergs sehr ähnlich. Ihren Charakter lerne ich über Monate kennen und ihr Verhalten über Jahre. Für mich ist ein perfektes Endergebnis bei der Aufnahme allein nicht alles, denn mit Photoshop kann man subtile Anpassungen vornehmen, um eine Aufnahme interessanter zu gestalten. Ich optimiere das, was da ist, aber ich schaffe nie etwas, das nicht da war. Entscheidend für ein gelungenes Foto sind oft die Geschichten hinter diese Bilder. Denn das gesamte Buch ist immer interessanter als ein einzelnes Kapitel.
Wo werden derzeit Bilder von Dir ausgestellt und was planst Du für 2022?
Aktuell werden meine Werke in der Petra Gut Contemporary Galerie in Zürich präsentiert. Die Ausstellung wird am 4. März 2022 eröffnet und geht bis Mitte April.
In Deutschland werde ich von der Camera Work Galerie in Berlin vertreten. Im Mai startet meine nächste Expedition nach Grönland, worauf ich mich schon sehr freue. Mein nächstes Buch wird in September 2022 erscheinen und bis zum Ende dieses Jahres veröffentliche ich meine 3. Dokumentation. Es handelt sich um visuelle Tagebücher, durch diese Bilder und Videos teile ich meine Gedanken, Ansichten und Erlebnisse mit den Zuschauern. Auf diese Weise sind diese Projekte eine Einladung zum Reisen, und ich kann die Betrachter oder Leser mit aufs Eis nehmen.
Das Interview führte Ánh Nguyen auf Englisch und wurde in Abstimmung mit Sebastian Copeland auf Deutsch übersetzt.
Interviewfragen von Isabelle
Interviewdurchführung und Text von Ánh