YOU CAN LEAVE YOUR HEAD ON - Seelenwanderung asiatischer Ethnien
ARTIMA trifft: Günther Heckmann von der IFICAH
Die Themen Leben und Tod sind in vielen Gesellschaften ein Tabu. Es gibt aber Volksgruppen, in denen der Tod seit Generationen ein ständiger und selbstverständlicher Bestandteil des Lebens und des Alltags war und immer noch ist. Die Stiftung IFICAH widmet sich in ihrer aktuellen Ausstellung YOU CAN LEAVE YOUR HEAD ON dem Thema Seelenwandung bei sechs asiatischen Ethnien. ARTIMA sprach mit Vorstand Günther Heckmann über den Stiftungsgedanken sowie die aktuelle Ausstellung vor dem Hintergrund der aktuellen Corona-Pandemie.
ARTIMA: In einem Reethus fast an der Nordseeküste vermutet man eigentlich keine internationale Stiftung für asiatische Kunst. Was verbirgt sich 10.000 km entfernt vom asiatischen Kontinent hinter der IFICAH "Foundation of Indonesian Culture and Asian Heritage"?
Günther Heckmann: Die Stiftung IFICAH ist eine im Jahr 2014 gegründete und von privater Hand getragene Kulturstiftung, die vor den Toren Hamburgs ihren Standort fand. Ihre Aufgabe ist die wissenschaftliche Erforschung der Kulturen Asiens, mit dem klaren Schwerpunkt auf Indonesien und Japan. Das generierte Wissen wird anhand von digitalen und analogen Veröffentlichungen sowie Ausstellungen im der Stiftung angeschlossenen „Museum für Asiatische Kultur“ einem interessierten internationalen Publikum zur Verfügung gestellt. Zudem sieht sich IFICAH als Plattform für all diejenigen, die sich aus wissenschaftlichem Interesse, oder einfach nur aus einer ehrlichen Neugier heraus, mit den präsentierten Objekten und Kulturen auseinandersetzen möchten. Durch den uneingeschränkten Zugriff auf vorwiegend private Sammlungsgebiete ist es der Stiftung möglich, die gewählten Themen anhand erstklassiger und größtenteils bisher unbekannter Objekte auf einem extrem hohen Niveau zu veranschaulichen.
Sie betreiben wichtige Forschungsarbeit und kooperieren mit vielen asiatischen Institutionen. Wie kamen die Kontakte über die Kontinente hinweg zustande?
Meine Frau und ich blicken auf eine intensive Ausbildung zurück, welche unter anderem in internationalen musealen und privaten Werkstätten stattfand. Durch meine eigene Zeit bei einem japanischen Lackmeister und die daraus resultierenden Kontakte zu global agierenden Institutionen und Sammlern lag es nahe, dass sich unsere Tätigkeiten zunehmend auf asiatische, oder besser gesagt, allgemein „außereuropäische Partner“ konzentrierten. Hieraus ergab sich auch schon vor der Gründung von IFICAH der sehr enge Kontakt nach Singapur, wo sich von Beginn an die offizielle Dependance der Stiftung etablierte. Über die vergangenen Jahre hinweg, wurden vor allem die Beziehungen zu akademischen, musealen und diplomatischen Institutionen in unserem schnell wachsenden internationalen Netzwerk intensiviert und erweitert.
Sie „neutralisieren“ und präsentieren im Museum auch von Kolonialmächten und Missionaren oft falsch dargestellte Hintergründe der verschiedenen Ethnien. Eine schwierige Gratwanderung oder heute wichtiger denn je?
Die für viele in Beton gegossenen akademischen Dogmen werden selten reflektiert. Grund dafür ist die sehr bequeme und durch die sozialen Medien nahezu überhandnehmende Form des „copy & paste“. Wir bei IFICAH haben uns zum Ziel gesetzt, die von uns gewählten Themen völlig neutral, wertfrei und sachlich so zu erarbeiten, dass auch bewusst Tabubrüche in Kauf genommen werden (müssen), wenn diese für eine gute wissenschaftliche Dokumentation erforderlich sind. Die Problematik der Provenienz ist uns vollkommen bewusst. In der Ausstellung über die Kunst der Samurai hatten wir z. B. ein Pfeil- und Bogen-Set, welches bei der Krönung des Kaisers Taisho eingesetzt wurde, oder das wohl einzige noch erhaltene Set von Hofmalereien aus dem sehr frühen japanischen Hochadel. Objekte, die Japan hätten nie verlassen sollen, aber durch die damaligen Besitzer dem Markt zugeführt wurden. Und gerade die in den Kolonialzeiten als „Tiere“ bezeichneten und in sogenannten Rassenschauen präsentierten Vertreter indigener Völker werden bei der Bearbeitung durch IFICAH bewusst in den Fokus gestellt, um den oft wissentlich nicht immer korrekt dargestellten Fakten neutral zu begegnen. Dies macht einem nicht unbedingt immer Freunde, aber sehr viel Spaß auf hohem Niveau.
Seelenwanderung asiatischer Ethnien und die Präsentation von rituellen Objekten thematisieren Leben und Tod – das aktuelle Projekt macht neugierig auch wenn es für uns Europäer schauerlich erscheint. Polarisiert diese Ausstellung?
Dass sich unsere Ausstellung über Tod und Seelenwanderung zeitlich mit dem bisherigen Höhepunkt der Corona-Pandemie überschneidet, ist ein purer Zufall und war daher ein leicht riskantes Unterfangen. Aber auch unabhängig von der aktuellen globalen Situation trifft dieses Thema den Nerv der Zeit, da es bei uns allen und ständig allgegenwärtig ist.
Sehr positiv überrascht sind wir von den Reaktionen der bisherigen Besucher dieser Ausstellung, die sich sehr interessiert, fasziniert und vor allem unvoreingenommen der unterschiedlichen Sichtweisen und zum Teil heute noch praktizierten Umgangsarten mit dem Tod, bei sechs völlig unterschiedlichen Ethnien in einem sehr großen asiatischen Einzugsgebiet widmen. Wir bekamen Besuch von einem Ehepaar aus Bremen. Die beiden haben sich vorgestellt „Herr Heckmann, wir sind jetzt zusammen 175 Jahre alt“, und letztendlich verbrachten sie 2,5 Stunden in einer Ausstellung zum Thema Tod, mit den Stühlen von Vitrine zu Vitrine rückend. Und nach so einer Erfahrung wage ich zu behaupten, dass unser Konzept auch bei einer bewussten Polarisierung sehr gut ankommt.
Sie sind quasi ein Tausendsassa und Experte in Ihren Funktionen als Stiftungsvorstand, Museumsleiter, Sachverständiger und Restaurator. Welche Leidenschaften waren zuerst da?
Meine Frau und ich sind durch unsere restauratorische Ausbildung selbstverständlich geprägt von einer Faszination für die Entstehung und Bewahrung handwerklicher und kultureller Güter. Wenn man für derartige Unikate die Verantwortung übernimmt, ist dies als Leiter eines Museums genauso verpflichtend wie als Restaurator. Den eigenen Sachverstand einzubringen, zu erweitern und weiterzugeben ist selbstverständlich, und macht in jeder Art Spaß und Freude, vor allem im Austausch auf Augenhöhe. Wir haben in der Arbeit für IFICAH den Luxus, uns mit schönen Dingen und anderen Kulturen zu umgeben, was aber hinter all diesem steckt, bleibt den meisten Menschen verborgen. Wären aber die Leidenschaft und die Freude am Job nicht im Vordergrund, könnten wir hier auch nicht so erfolgreich agieren.
Welche Verwirklichung wünschen Sie sich noch für 2021?
Dass wir noch möglichst viele Besucher auf der „Seelenwanderung“ begleiten können, und dass die dann im Herbst anstehende Präsentation der japanischen Lackarbeiten den sehr hohen Ansprüchen gerecht wird, die wir bereits jetzt an sie gesetzt haben.
Herzlichen Dank, Herr Heckmann für dieses Interview.
Die Fragen stellte Cornelia
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