Femme fatale in Hamburg: Der dekonstruierte Blick
Eine großangelegte Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle macht den Versuch, einem klischeebehafteten, jedoch bis heute prägenden Frauenbild auf die Spur zu kommen: der Frau als Femme fatale, die den Mann durch ihre Reize zunächst verführt, um ihn dann ins Unglück und Verderben zu stürzen.

Dabei geht die Ausstellung zunächst einen ganz klassischen Weg, indem sie die Genese des Themas in der Bildenden Kunst historisch aufarbeitet:
Von den Vorläufern in der Zeit der Romantik über die Präraffaeliten in England und das Viktorianische Zeitalter bis hin zur Belle Epoque auf dem europäischen Kontinent, wo der Frauentypus seinen Höhepunkt fand und in „realen“ Figuren wie der Schauspielerin Sarah Bernhardt oder Alma Mahler, der Grande Dame der Wiener Gesellschaft, kulminierte.

Anhand von phantastischen Leihgaben aus aller Welt wird gezeigt, wie in diesem männlich konstruierten Frauenbild die weibliche Sexualität dämonisiert wird, ohne dass sich die heutigen Betrachter*innen der unterkühlten und zugleich sinnlichen Schönheit der Bilder entziehen könnten.

Neben bekannten Größen wie Dante Gabriel Rosetti, Edvard Munch oder Franz von Stuck können dabei auch in Vergessenheit geratene Künstler wiederentdeckt werden, wie die großformatigen Arbeiten eines Carl Strathmann. Künstlerinnen kommen erst stärker in den Blick als sich nach dem 1. Weltkrieg in den 20er Jahren mit der „Neuen Frau“ ein emanzipiertes Frauenbild entwickelt und vor allem in der Kunst nach 1945 als Künstlerinnen damit begannen, den männlichen Blick auf die Frau als „Femme Fatale“ zu ironisieren und dem ihr eigenes Selbstverständnis gegenüber zu stellen.

Hier setzen starke Arbeiten den Rahmen, sei es von Maria Lassnig oder Sylvia Sleigh bis hin zu zeitgenössischen Positionen, wie den Video Performances einer Nan Goldin oder Sonia Boyce.

In der direkten Konfrontation der künstlerischen Arbeiten entlarvt die Ausstellung das historisch konstruierte Frauenbild als problematisch und entwickelt daraus die Notwendigkeit der Umdeutung. Dabei bedienen sich die Ausstellungsmacher*innen eines klugen didaktischen Begleitmaterials, das die Besucher*innen dort abholt, wo sie in ihrer aktuellen Wirklichkeitsdiskussion gerade sind: Ob in cartoonartig aufgemachten Begleitheften in Papierform (entstanden in Zusammenarbeit mit dem MISSY MAGAZINE) oder digitalen Chatbots, durch die ein unmittelbarer Kontakt mit der künstlerisch dargestellten Person ermöglicht wird. Persönliche Fragestellungen können so ohne Scheuklappen thematisiert werden.

Damit schafft die Ausstellung eine Plattform zum konstruktiven Umgang mit den Schätzen der Kunstgeschichte: demokratischer Diskurs statt „cancel culture“ wird so ermöglicht. Dies bereichert uns alle, in dem wir uns historische Kunstwerke neu aneignen statt sie wegzusperren oder zu verbannen.

Foto: Karen Mauch Photography / Rowan University Art Gallery
Diese Diskussion erscheint umso wichtiger, als in den einschlägigen Foren der Social Media Kanäle längst überholt geglaubte Stereotype von Weiblichkeit wieder neu belebt werden. Influencer*innen bedienen sich dabei gerne eines Frauenbildes der 1950er Jahre mit dem Fokus auf Heim und Herd.

Die Ausstellung macht hier einen mutigen Schritt nach vorn, um diese Themen kritisch zu beleuchten und gibt allen die Möglichkeit, sie ebenso kritisch zu hinterfragen. Denn wie wir auf die Inhalte blicken, entscheidet wie wir darüber denken. In diesem Sinne hat der Untertitel der Ausstellung eine zweite Bedeutungsebene: „Blick m(M)acht Gender“.
Die Ausstellung öffnet und weitet den Blick und das mit einer außerordentlichen Breite an unterschiedlichen und spannenden Kunstwerken - absolut sehenswert noch bis zum 10. April 2023 in der Hamburger Kunsthalle.
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