Malerei im Digitalen Zeitalter: eine Wahlverwandtschaft?
Ein Interview mit dem Hamburger Künstler Thorben Eggers
Wie wir bereits auf artima.de berichtet haben, hat der Hamburger Künstler Thorben Eggers mit seinem Werk „Vorspiegelungen 1“ die diesjährige Ausschreibung der Mannheimer Versicherung zur Förderung junger Künstler gewonnen. Das großformatige Bild wurde, ergänzt durch kleinere Arbeiten des Künstlers aus der gleichen Serie, im Mai auf der Kunstmesse art Karlsruhe am Stand der Mannheimer Versicherung ausgestellt. Thorben Eggers geht es darum, der Änderung menschlicher Wahrnehmung durch Digitalisierung in seinen Bildern Ausdruck zu verleihen. Dabei verfremdet er am Computer die Inhalte von Fotos mithilfe künstlicher Intelligenz zu neuen, meist abstrakten Formen. Aus der digitalen Vorlage entstehen „simulierte Gesten“ oder „verschobene Bildobjekte“, die dann in einem ganz traditionellen handwerklichen Prozess mit Öl auf eigens angefertigte Bildträger aufgetragen werden. In seinen aktuellen Bildserien, so auch in der Serie „Vorspiegelungen“, geht es um Landschaften, die in einem 3D-Programm bearbeitet werden und dabei - analog zu einem Bühnenbild - durch ungewöhnliche Perspektiven und künstlich geschaffene Lichtquellen transformiert und interpretiert werden. ARTIMA hat den Künstler getroffen, um mit ihm über seine Kunst, über das, was ihn antreibt sowie Vergangenes und Künftiges zu reden.
ARTIMA: Herr Eggers, ihre Bilder erscheinen als „realistische“ Landschaften oder Räume, in denen fremde Objekte wie Animationen aus einem 3D-Bildschirm auftauchen. Hier entsteht eine Verbindung der vermeintlich realen zur digitalen Welt. Was wollen Sie damit genau zum Ausdruck bringen?
Th. Eggers: Ich möchte mich als Künstler mit den aktuellen Gegebenheiten unserer alltäglichen Wahrnehmung auseinandersetzen und diese in mein künstlerisches Schaffen einfließen lassen, genauso wie das Künstler zu allen Zeiten getan haben.
Ich war z. B. vor kurzem in einer Ausstellung über Malerei des Kubismus, in der mir klar geworden ist, dass in der Vielansichtigkeit kubistischer Malerei bahnbrechende technische Neuerung der Zeit wie die Röntgenstrahlung ihren Niederschlag gefunden haben.
Ähnlich ist es bei mir, wenn ich in meiner Malerei die Welt wie durch ein Smartphone sehe: durch eine digital verfremdete Geste dringt die aktuelle Welt in eine vermeintlich ideale, zeitlose Landschaft ein. Nicht als „Störfaktor“, sondern als situative Zustandsbeschreibung in einem fortlaufenden Entwicklungsprozess. So würde ich mir wünschen, dass die Betrachter meiner Bilder in fernerer Zukunft anhand meiner Umsetzung digitaler Prozesse die Entstehungszeit meiner Bilder zuordnen können.
ARTIMA: Das Bild als Zeitdokument, sozusagen. Aber neben dem zeithistorischen Überbau sind Bilder, insbesondere der realistischen Malerei oder des Fotorealismus mit denen man Ihr Werk in Zusammenhang bringen kann, oft auch von ganz persönlichen Erfahrungen des jeweiligen Künstlers geprägt. So weiß man, dass Konrad Klapheck, den man als Vertreter der realistischen Malerei des 20. Jahrhunderts in Deutschland neben Ihrem Lehrer Eberhard Havekost hier unbedingt nennen muss, mit seinen Alltagsgegenständen auch Kindheitserinnerungen verarbeitet hat. Als Kind ist er durch die Trümmerlandschaften seines Wohnviertels gefahren und fand Trost bei Maschinen und Kränen, die er später, ins Überdimensionale gesteigert, auf die Leinwand gebracht hat. Gibt es bei Ihnen Themen, die in weitestem Sinne persönlich oder biographisch geprägt sind?
Th. Eggers: Ja auf jeden Fall, auch wenn ich meine Bilder nicht mit personalisierten Bildtiteln versehe, so wie Klapheck das getan hat. Ich habe sogar während meiner Studienzeit an der Kunstakademie Düsseldorf in dem gleichen Atelierraum gearbeitet, wie damals Konrad Klapheck.
Auch bei mir gibt es persönliche Anteile bei der Bildfindung. So verarbeite ich in meinen Landschaften reale Reiseerlebnisse oder auch persönliche Wunschvorstellungen. Im Moment arbeite ich an einer Serie über Ostseelandschaften, in die ich Erlebnisse vom Segeln vor der Küste von Glücksburg in Schleswig-Holstein einfließen lasse. „Glück in Sicht“ soll die Bilderserie einmal heißen. Und bei der Serie „Vorspiegelungen“ war die Landschaft ein irrealer Sehnsuchtsort.
ARTIMA: Nun komponieren Sie ja Ihre Bilder am PC, projizieren sie auf einen teils vorgefertigten Bildträger und malen sie dann in einem traditionell handwerklichen Prozess in Öl auf Leinwand ab. Warum bedarf es dieses Prozesses des „Re“-produzierens, des nochmaligen Abmalens eines schon erdachten Motivs?
Th. Eggers: Erst durch die Auseinandersetzung mit dem Material der Farbe und durch die Unvorhersehbarkeit des handwerklichen Prozesses entsteht etwas „Reales“ und Eigenes. Mit dem handwerklichen Prozess eignet sich der Künstler das Werk an. Es wird eine neue Wirklichkeit geschaffen und so entsteht eine Distanz zu dem, was man kopiert hat. Dadurch wird eine Wahrnehmung eingeleitet, die zur Reflexion anregt über das, was man kopiert hat. Es geht mir letztlich darum, die Mechanismen der menschlichen Wahrnehmung zu ergründen und die Subjektivität des Sehens.
ARTIMA: Birgt die aktive und individuelle Nutzung technischer Möglichkeiten durch den Künstler auch die Chance, sich in Zukunft gegenüber einer möglichen Bedrohung des künstlerischen Schaffens durch Künstliche Intelligenz (KI) zur Wehr zu setzen?
Th. Eggers: Ich glaube, dass insbesondere der Maler eine Zukunft im digitalen Zeitalter hat, die ihm keine Technisierung streitig machen kann. Da ist zum einen der wochenlange handwerkliche Prozess des Malens, der dem Bild seine unnachahmliche Einzigartigkeit und Individualität verleiht. In Zeiten anonymisierter digitaler Endlosschleifen von Vervielfältigung gibt es eine Sehnsucht nach dem Handwerklichen.
Indem die Künstler sich der neuen digitalen Möglichkeiten bedienen und diese in ihrem Werk verarbeiten, schaffen sie etwas Neues. Sie setzen sich mit zeitgeschichtlichen Entwicklungen auseinander und regen zur Reflexion an.
Das ist durch KI, die nur Vorhandenes wiederholt und neu zusammensetzt, nicht möglich.
ARTIMA: Wie Sie uns sagten, werden Sie demnächst für einige Zeit zusammen mit Ihrer Familie nach Japan gehen. Welche Anreize erhoffen Sie sich von dort für Ihr weiteres Arbeiten?
Th. Eggers: Ich hoffe auf Anregungen in vielfältiger Hinsicht. Zum einen bin ich ganz neugierig auf die Natur. Die möchte ich mit dem Fahrrad erkunden und auf mich wirken lassen, um herauszufinden wie ich sie in meine Bilder einbauen kann.
Zum anderen interessiert mich die japanischen Gesellschaft, in der der Digitalisierungsprozess viel fortgeschrittener ist als bei uns. Insbesondere bin ich auf das Zusammenspiel von Individuum und Technik im Alltag gespannt. Wie werden soziale Beziehungen zwischen den Menschen beeinflusst und verändert, wenn z.B. Dienstleistungen von Robotern übernommen werden und so menschliche Kontakte ersetzen. Dabei geht es auch um das Verfügbarmachen von Nähe gegen Bezahlung.
Hier sehe ich eine Analogie zu den „fremden“, außerweltlichen Objekten in den Landschaften meiner Bilder: es wird etwas simuliert, in beiden Fällen.
ARTIMA: Das hört sich aufregend an! Wir wünschen Ihnen eine aufschlussreiche und spannende Zeit in Fernost und hoffen, dass wir irgendwann, wenn Sie wieder zurück in Deutschland sind, nochmal über neue Entwicklungen in Ihrer Malerei mit Ihnen sprechen können.
Vielen Dank für das Gespräch!
Thorben Eggers wird von der Galerie Nina Mielcarczyk in Leipzig vertreten.
Seine Werke befinden sich in der Julia Stoschek Collection in Berlin, der Henkel Collection in Düsseldorf sowie der Corporate Collection der Mannheimer Versicherung AG in Mannheim.
Neben institutionellen Ausstellungen im Kunstverein Mönchengladbach, Krefeld, Speyer und Flensburg zeigte er seine neuen Arbeiten unter anderem in New York, Gent, Berlin, Düsseldorf und Hamburg.
Das Interview führte Michael.