Kunstszene

Mit den Augen reisen: Der Traum vom Süden

Wie eine Ausstellung in Hamburg uns zu Reisegenuss verhilft

Bekanntermaßen ist das Reisen in diesen Zeiten vielfach nicht so sorglos und unbeschwert möglich, wie wir es kennen. Umso mehr lohnt der Weg in eine kleine, aber feine Ausstellung im Hamburger Jenisch Haus, in der wir uns mit dem Hausherrn, dem Senator Martin Johan Jenisch, nach Italien begeben. Zweimal, 1829-30 und 1838-39, reiste der Senator mit Frau Fanny Henriette und Entourage in die sehnsuchtsvollen Orte Italiens.

Unbekannter Künstler, Landsitz des Senator Jenisch auf Flottbeck, Lithographie, um 1850, Foto SHMH

Die Ausstellung „Der Traum vom Süden. Die Sammlung des Senators Martin Johan Jenisch“ zeigt uns nicht nur die in oder angeregt durch Italien erworbenen Kunstwerke und Ausstattungsstücke seiner Sommervilla über der Elbe, sondern sie schildert auch aufs Anschaulichste die Umstände des Reisens der damaligen Zeit. Ermöglicht wird dies, weil die Reisetagebücher des Senators bzw. seiner Mitreisenden erhalten sind. 

Gereist wurde in Kutschen, getrennt nach sozialem Rang, eine für die Herrschaft und eine zweite für die Bediensteten. Gezogen meist von vier Pferden, wurden die Tiere in regelmäßigen Abständen gegen frische ausgetauscht. Unerlässliche Begleiter waren die großen, truhenähnlichen Koffer, die außen in einem Gepäckabteil untergebracht waren. Neben Kleidung wurden auch Reiseapotheke und eigenes Essbesteck mitgeführt.

Durch die Tagebücher sind wir über die Reiseroute, die besuchten Orte und Sehenswürdigkeiten sowie das gesellschaftliche Leben anschaulich unterrichtet. (Rudolf Lehmann, Porträt von Martin Johann Jenisch d.J., 1848, Foto SHMH)

Neben dem Besuch von touristischen Attraktionen, landschaftlichen oder kulturellen Sehenswürdigkeiten, fand ein reges gesellschaftliches Leben durch Einladungen in die großen Häuser aristokratischer Familien statt. Hier traf sich die internationale gesellschaftliche Elite und pflegte einen regen Austausch.  Daneben gab es natürlich Theater und Opernbesuche, bei denen der Verfasser der Tagebücher weder mit Lob noch mit Kritik spart. 

Höhepunkt der Reise war Rom, wo das Senatoren-Ehepaar an einer „Feierliche(n) Vatikanische(n) Prozession des Corpus Domini“ teilnahm, einem der bedeutendsten liturgischen Feste der Stadt, bei dem alle gesellschaftlichen Gruppen festlich gekleidet in Anwesenheit des Papstes durch das mit Blumengirlanden geschmückte Rom ziehen. Von diesem Großereignis zeugt ein insgesamt 14 Meter langer, aus 35 Seiten bestehender Leporello, den sich das Ehepaar Jenisch mitgebracht hatte.

In Rom hielt sich der Senator mehrere Monate auf und pflegte Kontakt zu den sog. Deutsch-Römern: Literaten, Bildhauern und Malern, die dort eine Künstlerkolonie gegründet hatten. Durch diesen Umgang ließ sich Martin Johan Jenisch zum Sammeln von Kunst anregen, wobei er die Bilder junger zeitgenössischer Maler erwarb, keine alten Meister. Damit war Jenisch eine rühmliche Ausnahme unter den Hamburger Kaufherren. Zur Förderung zeitgenössischer Kunst trat er sogar 1829 in den 1817 gegründeten Hamburger Kunstverein ein. Dort ließ er auch 1831 das ein Jahr zuvor in Rom erworbene Gemälde „Der Traum Raffaels“ der Brüder Franz und Johannes Riepenhausen ausstellen. Zu sehen ist, wie dem schlafenden Maler Raffael im Traum Maria mit dem Jesuskind auf Wolken erscheinen, was ihm zur Vollendung seines hinter ihm stehenden begonnenen Bildes der „Sixtinischen Madonna“ verhilft. Genau dieses Bild hatte Jenisch im Original in der Dresdener Galerie auf dem Weg nach Italien sehr bewundert, was ihn sicherlich zum Kauf des Bildes der Brüder Riepenhausen veranlasst hat.

In Italien fand Jenisch auch Anregungen für die Ausstattung seines Sommerhauses an der Elbe. Mit dem Haus, einer Villa suburbana nach antikem Vorbild, schuf sich der Senator nach der Rückkehr von der ersten Italienreise seinen Traum vom Süden.

Unbekannter Künstler, Landsitz des Senator Jenisch auf Flottbeck, Lithographie, um 1850, Foto SHMH

Für das 1831-34 von Franz Gustav Forsmann und Karl Friedrich Schinkel entworfene Haus, kaufte er in Italien groß ein: 1830 wurden in Livorno 16 Kisten mit Marmorarbeiten und Gemälden nach Hamburg verschifft. Im Stil des antikisierenden Spätklassizismus errichtet, stellt das Haus ein Gesamtkunstwerk dar, das sowohl als kulturvoller Rückzugsort, wie auch der glanzvollen Repräsentation diente.

Neben Gemälden, Skulpturen, marmornen Kaminverkleidungen gibt es in der Ausstellung auch skurrile Kuriositäten, die als kleinere Erinnerungstücke besuchter Orte mitgebracht wurden, wie Dioramen vom Mailänder Dom oder den Wasserfällen bei Tivoli.

Ein besonders schönes Exponat, dessen Beauftragung ebenfalls durch die Italienreisen angeregt wurde, ist eine von Schinkel entworfene, freistehende ovale Badewanne aus glasiertem ockerfarbenem Terrakotta mit einem sehr feinen, teils figuralen Rankenfries. Jenisch selbst äußert sich in seinen Reisetagebüchern mehrfach begeistert über das Baden in Italien. Nachgewiesen durch alte Hausinventare ist das Stück in den Räumen von Jenischs Frau Fanny. Nachdem es jahrzehntelang als Blumenkübel zweckentfremdet worden war, ist es anlässlich der jetzigen Ausstellung wieder in das dafür vorgesehene Badekabinett an seinen angestammten Platz gebracht worden.

Insgesamt eine lohnende Ausstellung, die - dank der wunderbaren Lage des Hauses in einem weitläufigen englischen Gartenareal mit Blick auf die Elbe - selbst zu einem kleinen Reiserlebnis wird. Zu genießen ist die Schau im Hamburger Jenisch Haus noch das gesamte Jahr bis in den Januar 2021 hinein.

Teaserbild auf der Startseite: Franz Xaver Winterhalter, Italienisches Mädchen, Sammlung Jenisch, Altonaer Museum, Foto SHMH

 

 Text von Michael


 

 

 

 

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