Kunstszene

Die Kunst-Connection: Networking als Strategie der Moderne

Zur Ausstellung „Manet und Astruc – Künstlerfreunde“

Rund um ein zentrales Werk der Kunsthalle Bremen entwickelte das Museum eine sehenswerte Schau zum Thema Künstlerfreundschaft. Ausgangspunkt ist das hier zu sehende Bildnis des Zacharie Astruc, das Éduard Manet 1866 malte und das bereits 1909 auf Veranlassung des weitsichtigen Bremer Kunsthallendirektors Gustav Pauli angekauft wurde. Michael von ARTIMA war für euch vor Ort.

Édouard Manet, Bildnis des Zacharie Astruc, 1866, Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen

Édouard Manet, Blumen in einer Kristallvase,
​​​um 1882, National Gallery of Art, Washington,
Ailsa Mellon Bruce Collection

Auch wenn die Bedeutung von Manet als Vater des Impressionismus heute nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, war er in seiner Zeit hoch umstritten und schmachvollen Angriffen der Kunstkritik ausgesetzt. Seine Malerei galt als flach und unfertig und seine Bildthemen mit Szenen aus dem Alltagsleben als banal.

Vielfach wurden seine Bilder von der Jury des Pariser Salon abgewiesen, jener allmächtigen Institution, in der sich die bürgerliche Gesellschaft alljährlich mittels einer großangelegten Kunstausstellung ihrer selbst vergewisserte. Gezeigt wurden dort in erster Linie akademische Positionen, die sich inhaltlich und formal aus der Tradition der Historienmalerei speisten und so modernen Entwicklungstendenzen den Riegel vorschoben.

Da war es wichtig, Verbündete zu haben, ein Netzwerk, das sich durch Geben und Nehmen speiste, um so Wirkung an geeigneter Stelle zu entfalten.

Zacharie Astruc, Blumen in einer Vase,
um 1884/1904, Metropolitan Museum of Art,
New York


Das erste Mal im Schaffen von Manet begegnet uns der Zirkel des Künstlers in dem Bild „La Musique aux Tuileries“ von 1862, einer Leihgabe aus der Londoner National Gallery. Hier gibt sich die Pariser Gesellschaft in den beliebten Tuileriengärten ein Stelldichein. Neben Vertretern des Zeitschriftenwesens sind im Vordergrund Damen der Pariser Gesellschaft zu sehen, in deren Salons führende Vertreter aus Politik und Kultur zusammenkamen.

Hier begegnen wir auch erstmals Zacharie Astruc, jenem Dichter und Journalisten, der sich ein paar Jahre später ostentativ zur Malerei Manets bekannte, indem er zu dem Skandalbild der nackten Olympia, das Manet 1865 im Salon ausstellte, ein schwärmerisches Gedicht verfasste, das im damaligen Katalog abgedruckt war.

Plakat Ausstellung "Manet und Astruc" in der Kunsthalle Bremern

Die beiden, Manet und Astruc, verband die Interessen der damaligen Avantgarde: Japonismus, Spanienmode und die Neuinterpretation der alten Meister.

Zentralen Ausdruck fand dies in jenem Bildnis aus der Bremer Kunsthalle, das den Schriftsteller und Kunstkritiker neben einem Tisch mit Büchern und Schriften vor einer dunklen Wand sitzend zeigt. In der linken Bildhälfte öffnet sich der Blick auf ein Interieur mit einer weiblichen Rückenfigur. Dieser Ausblick ist ein Zitat aus Tizians „Venus von Urbino“, dem Bild, auf das Manet mit seiner „Olympia“ anspielt. Diese Querverbindung verweist einerseits auf das Beziehungsgeflecht der Künstlerfreunde, andererseits auf die Verbindung zu den großen alten Meistern.

Maltechnisch zeigt sich dies im Bild an der unterschiedlichen Ausführung der Hände des Dargestellten: während die rechte, teilweise unter das Jackett geschobene Hand Astrucs plastisch und detailliert ausgeführt ist, wirkt die linke Hand, die an der Stuhllehne herabhängt, skizzenhaft in schnellem Pinselduktus. Manet zeigt hier, dass er ein breites Repertoire an Möglichkeiten beherrscht, weist aber gleichzeitig auf die neue Auffassung der Malerei hin und gibt ihrer Entwicklung eine neue Richtung. Das, was damalige Kritiker als „unfertig“ ansahen, erzeugt genau jene lässige Eleganz, bei der sich mit wenigen Pinselstrichen aus der Ferne eine vollendete Wahrnehmung ergibt. Dies ist der Beginn der Moderne in der Malerei.

Wie wichtig und zentral das Bildnis von Astruc in dem Kreis von Künstlern, Literaten und Intellektuellen war, die Manet um sich versammelt hatte, zeigt eine Leihgabe in der Ausstellung aus dem Pariser Musée d´Orsay: das Gruppenbild „Un atelier aux Batignolles“, das 1870 von Henri Fantin-Latour gemalt wurde. Das großformatige Bild (204 x 273 cm) zeigt im Zentrum des Ateliers Manet an der Staffelei umgeben von Freunden und Gleichgesinnten wie Renoir, Zola, Bazille oder Monet. Neben ihm aber sitzt Astruc. Manet hält mit der einen Hand die Palette und führt mit der anderen den Pinsel an das Bild auf der Staffelei, das wir nur von hinten sehen. Dadurch, dass er den Blick auf Astruc richtet, wird klar, dass er gerade an dessen Bildnis arbeitet, vermutlich jenem, das sich heute in der Bremer Kunsthalle befindet. Das Bremer Bild wird somit zu einem Manifest der Freundschaft und der gemeinsamen Idee der Avantgarde als verbindendem Element.

Édouard Manet, Der spanische Sänger
(Le Guitarrero),1860,
Metropolitan Museum of Art, New York


Diese Gedanken greift die zeitgenössische deutsche Malerin Karin Kneffel auf, in dem sie für die Ausstellung in Bremen ein Bild schafft, das Elemente aus beiden Werken weiterentwickelt: sie zeigt das Atelier im Künstlerviertel Batignolles nur mit Astruc, der vor dem von Manet gemalten Bild sitzt. Jetzt aber ist es so zum Betrachter gewendet, dass wir es als das Bremer Bild erkennen können. In Kneffels Werk reflektiert Astruc also sein eigenes Bildnis. Geradezu meditativ sitzt er vor dem Bild im Bild mit einem Buch in der Hand, umgeben von Utensilien des Ateliers: einem Tisch voll gestapelter Schriften und hinter der Staffelei einer antiken mythologischen Skulptur.
Darin wird klar, dass sich künstlerisches Gestalten in der Auseinandersetzung mit bildnerischer Tradition und literarischem Schaffen entwickelt. Ausschlaggebend dabei ist jedoch das Weiterdenken in der Auseinandersetzung mit kritischen Geistern des zeitgenössischen Umfelds. Nur aus dieser Synthese kann Neues entstehen.

Édouard Manet, Das spanische Ballett, 1862, The Phillips Collection, Washington, D.C.

Die Ausstellung in Bremen geht erstmals dem engen Verhältnis zwischen Künstler und Kritiker am Beispiel von Manet und Astruc nach. Gleichzeitig stellt sie uns das hierzulande nahezu unbekannte künstlerische Schaffen Astrucs vor, der ab 1869 selbst als Künstler tätig war und vor allem als Bildhauer reüssierte.

Der Besucher erhält somit in der Ausstellung gleich in mehrfacher Hinsicht neue Einblicke in das Pariser Kunstleben der 1860er bis 1880er Jahre, dem Zentrum der Kunstwelt am Beginn der Moderne.

Noch bis zum 27. Februar 2022 ist diese spannende Schau in Bremen zu sehen.

 


Euer Michael 

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