Kunstszene

Jürgen Heinz – Bewegung in die Kunst bringen

„Und sie bewegt sich doch…“ ist ein bekanntes Zitat aus der Geschichte und besser kann man die Stahlplastiken von Jürgen Heinz kaum charakterisieren.

Museum Stangenberg Merck Innenräume (Fotos: Uli Weise)

Als bestimmendes Thema ist die Bewegung in allen Werken mit eingeschlossen, einerseits in der Formensprache und andererseits in ihrer realen Ausprägung des Schwingens, Schwebens, Wippens, Schaukelns und Oszillierens. Erst ein von außen gesetzter Bewegungsimpuls  ist für die Arbeiten der entscheidende Anstoß, der sie zu dem macht, was sie eigentlich sind: Kunstwerke der Bewegung, des Wandels und der Veränderung.

Die Werke von Jürgen Heinz werden unter dem Begriff „Moving Sculptures“ zusammengefasst. Die Bewegung gilt aber nicht nur für sie selbst, sondern sie charakterisiert das Selbstverständnis des Metallbildhauers. Alles muss in Bewegung sein und bleiben. Auch die Kunst selbst, der Kunst- und Ausstellungsbetrieb und die Kunstbetrachtung. Bewegung bedeutet auch immer Veränderung, somit bleibt nichts still auf der Stelle stehend zurück, sondern kann sich immer wieder neu erfinden, weiterentwickeln und sich in immer neuen Zusammenhängen frei miteinander in Beziehung setzen. Bewegung heißt wieder in Gang kommen, dem Stillstand entfliehen und Neues anregen und schaffen. Das gilt für die Kunstwerke genauso wie für den Ausstellungsbetrieb, der nach der langen Pause erst wieder Fahrt aufnehmen muss. Vieles das liegen geblieben oder verschoben wurde, muss jetzt wieder auf die Spur gebracht werden. Neue Anregungen und Anstöße werden gebraucht, um aus dem Dornröschenschlaf zu erwachen.

Der große Gegenpol der Bewegung ist die Ruhe. Sie ist für die Arbeiten von Jürgen Heinz ein Ausgangspunkt, denn nur aus der Ruhe heraus findet die Bewegung ihren Lauf und es entsteht ein Wechselspiel, eine Wechselwirkung aus Ruhe und Bewegung. Einerseits die ruhige, lastende Schwere der oft wuchtig wirkenden Plastiken und andererseits das organisch-pulsierende Schwingen in der Bewegung. Dieses Spannungsverhältnis zwischen Bewegung und Ruhe findet sich in allen Werken wieder. Es birgt auch ein Überraschungsmoment,  wenn nämlich die Schwerkraft überwunden scheint und die „Moving Sculptures“ eine spielerisch wirkende Leichtigkeit und Durchlässigkeit durch das Bewegen erhalten. Betritt man einen Ausstellungsraum mit Werken von Jürgen Heinz, dann dominiert zunächst einmal die Ruhe. Hat man dann begonnen die Werke in Bewegung zu versetzen und ihre Wirkmacht zu erleben, dann eilt man durch die Ausstellung und versetzt die einzelnen Werke nacheinander in Bewegung. Das Beobachten und kontemplative Erleben der oft gegenläufigen oder oszillierend schwingenden Bewegungen erfasst den Betrachter und lässt diesen staunend das zeitversetzte Ausklingen der Bewegung erleben. Auch die klanglichen Elemente, die beim Aneinanderstoßen von Metall entstehen, gehören dazu, lautmalerisch begleiten sie den Rhythmus der Bewegung.

Die Arbeiten sind handwerklich meisterhaft gestaltet. Im Umgang mit dem Material beweist Jürgen Heinz, dass er seine Ideen auch umsetzen kann. Oft ist er getrieben von einer Idee und will diese sofort umsetzen. Da er über das Handwerk zur Kunst gekommen ist, sind ihm in der Bearbeitung kaum Grenzen gesetzt. Nur manche Idee lässt sich dann halt doch nicht realisieren oder die handwerkliche Realisierung führt zu keinem akzeptablen Endergebnis aus künstlerischer Sicht. Zu Beginn des Werkprozesses steht eine Skizze, dann folgt ein Herantasten über das Ausprobieren an Modellen bevor sich Jürgen Heinz dann an die endgültige Umsetzung macht. In einer einzigen Plastik stecken oft unzählige Arbeitsstunden, alles wird selbst angefertigt und muss dementsprechend auch in Schwerstarbeit gehoben, gedreht und getragen werden. Die Spuren der Metallbearbeitung verschwinden, alles wirkt wie aus einem Guss gearbeitet, was die Wirkung der Stahlplastiken perfekt unterstützt. Die fertigen Werke dürfen und müssen dann auch berührt und in Bewegung versetzt werden, das haptische Begreifen und der Wandel durch die Dynamik sind grundlegender Bestandteil der Arbeiten. Bei Jürgen Heinz darf man seinen Augen nie trauen, erst wenn man die „Moving Sculptures“ mit möglichst vielen Sinnen erfasst hat, eröffnen sich vielschichtig die verschiedenen Ebenen jedes einzelnen Werks.

Derzeit laufen zwei Einzelausstellungen in der Metropolregion Rhein-Neckar, die einen guten Überblick über das Werk der letzten 10 Jahre von Jürgen Heinz liefern:

  • In Seeheim-Jugenheim im Museum Stangenberg Merck läuft noch bis April 2022 die Ausstellung „Im Raum. Bewegt. Still. Verändert“.
Museum Stangenberg Merck

Diese vereint Innen und Außen, d.h. es finden sich in den Ausstellungsräumen Kleinplastiken, die alle drei Monate ausgetauscht werden, und im Außenbereich im Park bis zu 5 Meter hohe Werke, die mit der umliegenden Landschaft in Beziehung treten. Sieben Großplastiken sind am Hang aufstellt, die von blockhafter Schwere, gitterartiger Transparenz und leicht im Wind schwingender Fragilität das ganze gestalterische Spektrum von Jürgen Heinz zeigen. Die Plastiken haben keine Hauptansicht, gerade das Umschreiten und das Naturerlebnis verdeutlichen dem Betrachter verschiedene Wirkungen. Die Ausblicke durch die Plastiken in den Himmel heben die Werke von Jürgen Heinz hervor, währenddessen dieselbe Arbeit mit Naturhintergrund eher in diesen eingebunden wirkt. Bewegung heißt in diesem Fall sowohl das Umschreiten der Plastik als auch die Bewegung des Hintergrundes, das Vorbeiziehen von Wolken oder das sanfte Schwingen von Bäumen oder Büschen, die durch die ausschnitthafte Rahmung betont werden.

  • Das Museumszentrum in Lorsch, wo Jürgen Heinz auch ganz in der Nähe sein Atelier hat, präsentiert noch bis Ende Oktober die Ausstellung „Kunst braucht Bewegung“, auch hier werden Werke aus mehreren Schaffensphasen gezeigt.
Museumszentrum in Lorsch

In dem großen, rechteckigen Ausstellungsraum mit niedriger Deckenhöhe sorgt die pointierte Ausleuchtung für faszinierende Licht- und Schattenspiele, ganz gleich ob die Werke ruhen oder in Bewegung versetzt wurden. Die Ausstellung betont auch die gestalterische Vielfältigkeit, das Wechselspiel aus blockhaften, gerundeten und linear-zeichnerischen Strukturen. Sie lässt dabei Raum für jedes einzelne Werk und sie setzt diese in den Gesamtzusammenhang der „Moving Sculptures“.

Beide Ausstellungen eröffnen einen einfühlsamen Blick auf das künstlerische Schaffen von Jürgen Heinz, wer eine oder beide Ausstellungen anschaut, wird etwas tun, das ganz im Sinne des Künstlers ist: sich bewegen.

www.atelier-juergenheinz.de

Museum Stangenberg Merck (bis April 2022)
Helene-Christaller-Weg 13
64342 Seeheim-Jugenheim
Mi-Fr 15-19 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr

Museumszentrum Lorsch (bis 31.10.2021)
Kloster Lorsch
Nibelungenstr. 35
64653 Lorsch
Di-So 10-17 Uhr

Text von Uli Weise

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Alle Fotos von Uli Weise 

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