Kunstszene

Das Prinzip der Malerei oder:

Es ist schon alles da

Jennifer López Ayala: „Hunted“ (2017), Objektarbeit zweiteilig: ⌀ 160 cm × T 10 cm und ⌀ 63 cm × T 10 cm Foto: Jennifer López Ayala

Alles wäre anders gekommen, wäre Jennifer López Ayalas Blick nicht eines Tages zufällig auf den Boden ihres Ateliers gefallen, wo das Licht mit zerbrochenen Eierschalen spielte, ein Überbleibsel des Anrührens von Eitempera. Das Licht sammelte sich in den Wölbungen, brach sich scharf an den Bruchkanten, zerlief in Abstufungen von Hell und Dunkel, reflektierte von der gekrümmten Oberfläche an ihrer Innen- wie Außenseite in den verschiedensten Nuancen und Schattierungen von Weiß – und in diesem Moment dachte López Ayala: Es ist alles schon da. Das Wesen der Malerei. Licht und Körper.

López Ayala rückt ins Licht, was sie vorfindet. Sie leuchtet das Ei als ihr Thema derart aus, dass all die gegensätzlichen Aspekte, die in ihm ihren einheitlichen Bezugspunkt, ihren gemeinsamen Träger haben, in immer neuen Anläufen und mit den unterschiedlichsten Werkzeugen und Medien ausgefaltet und untereinander in fluktuierenden Konstellationen verbunden werden.

So lässt der Einsatz von Photographie den Zeitfluss zur Momentaufnahme gerinnen, löst isolierte Bilder aus dem steten Wechselspiel von Licht und Körper im Raum. Aufnahmen von Installationen, positiv und negativ, werden zerschnitten, collagiert, neu mit Schalen belegt, abermals gescannt ... ad infinitum. Vergrößerungen solcher Scans bearbeitet López digital derart, dass sie an allen vier Kanten aneinander anschließbar sind. In Reihen auf die Wand gesetzt ergeben sie eine mosaikartig ins Unendliche ausdehnbare Bildfläche. Videos werden auf Wände projiziert und verschmelzen mit der  Architektur zu etwas Neuem. Wie Immanuel Kant mit dem Begriff das Erhabenen beschreibt, transzendieren in der Perzeption die physischen Grenzen des Bildkörpers bzw. des Bildraums und scheinen sich bis ins Unendliche fortzusetzen.

In raumgreifenden Installationen reiht López Ayala Eier aneinander, wobei diese Reihen sich zu geometrisch geformten Feldern fügen, die den mobilen Betrachterstandpunkt mit der Raumperspektive in ein offenes Verhältnis setzen. Indem die Eierschalen sich mit der Raumarchitektur verbinden, verlieren sie an ihn doch niemals ihre archaische Fremdheit. So bespielt die Künstlerin Museen, Galerien und alte Kirchen.

Gerahmte oder kastenartig gefasste Wandobjekte betonen die Ausschnitthaftigkeit dieser rasterhaften Anordnungen, die an sich als über jede faktisch gesetzte Begrenzung hinaus erweiterbar zu imaginieren sind. Die geometrischen Formen, in denen die Eierschalen in den Wandobjekten angeordnet sind, gestalten sich aus stets unterschiedlich ausfallenden Bruchstücken und bringen in die konstruktiv abgezirkelte, ornamentale Anordnung ein untilgbares Moment des Widerständigen, des Ephemeren in seiner irritierenden Schönheit.

In der 15 Meter langen Installation „Little Earthquake“ ist López Ayala am Ende sogar so radikal, dass sie die bekannte Form der Eierschale auslöscht. Sie zermahlt die Schalen zu amorphem Kalkstaub, um diesen in die Spalten der monumentalen Architektur des Ausstellungsortes zu verstreuen.

Ihre Kunst vermag es, in der uns vertrauten Wirklichkeit die unausgleichbaren Gegensätze von Leere und Fülle, Leben und Tod, Werden und Vergehen, Öffnen und Verbergen, Macht und Ohnmacht, Erkennen und Nichtbegreifen darzustellen, die in ihr gleichwohl unlösbar miteinander verkettet sind.

Die Ahnung, dass die Komplexität, ja innere Widersprüchlichkeit der Wirklichkeit in unserem Begriff von ihr nicht aufgeht, ist jenes mimetische Moment, das die Kunst nach Adorno als die ihr eigene zerbrechliche Wahrheit immer wieder für einen Augenblick aus sich selbst hervortreibt, um es sogleich wieder an die Welt zu verlieren. In dieser bleibt die Wahrheit der Kunst ästhetischer Schein.

Doch die Fähigkeit, im ästhetischen Schein Unsichtbares sichtbar werden zu lassen, gehört für Jennifer López eben zur besonderen Bestimmung der Kunst.

Text: Manuel Ströhlin

Der Beitrag ist ein adaptierter Auszug aus Jennifer López Ayalas Buch „Traumaland“, das Ende 2018 erscheint. Die Ausstellung T RAUM A LAND läuft noch bis zum 17. Mai bei Rundstedt Contemporary, Düsseldorf.

Jennifer Lopez Ayala lernte an der Düsseldorfer Kunstakademie bei so unterschiedlichen Malern wie Helmut Federle und Katharina Grosse, deren Meisterschülerin sie auch wurde. Nach ihrem Akademieabschluss im Jahr 2015 wurden ihre Arbeiten bald national und international in Einzel- und Gruppenausstellungen verschiedener Museen und Galerien gezeigt und in namhafte öffentliche Sammlungen aufgenommen. 2015 wurden ihr der Kunstförderpreis der Stadt Neuss, der PwC Follow-Up Award sowie der PwC Audience Award verliehen, 2017 der erste Kunstball Award. 2016 war sie außerdem für den Aesthetica Art Prize, 2017 für den Edward Steichen Award Luxembourg nominiert.

www.jlpz.de

Bildergalerie

Bild 1: 
Beschreibung: Jennifer López Ayala: „Timeframe“ (2016), ca. 11 m × 5 m, Aesthethica Art Prize / York St. Mary’s Museum
Foto: Copyright and courtesy of Jim Poynor

Bild 2:
Beschreibung: Jennifer López Ayala
Foto: Jennifer López Ayala

Bild 3:
Beschreibung: Jennifer López Ayala: „Trauma Mind Map“ (2017), ca. ca. 6,4 m × 8,2 m × 1 m, Museum Kunstpalast, Düsseldorf
Foto: Jennifer López Ayala

Bild 4:

Beschreibung: Jennifer López Ayala: „Timelapse“ (2016), ca. ca. 4,5 m × 4,5 m × 0,2 m, Schloss Benrath, Düsseldorf
Foto: Günter von Ameln

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